SONNTAG IST SELBSTMORD
Foto: Sophie Utikal
101-teilige Online-Kolumne
#90 14.10.2012
If I die before my time
Bury me upside down
Cat Power – Cherokee
Warum sollte man alleine sterben, wenngleich kein Mensch alleine zur Welt kam? Sollte man den Zeitpunkt des eigenen Todes selbst festlegen dürfen? Selbst ausführen? Einen guten Freund um Hilfe bitten? Oder gar um ein gemeinsames Ende? Sollte man abwarten, bis der Tag von allein kommt und man ein Pflegefall ist oder dement oder beides?
Jeder stirbt für sich allein, aber das stimmt doch nicht. Der Tod eines Menschen ist doch ein Spektakel sondergleichen. Wie viele Menschen am Tod eines Einzelnen beteiligt werden – die Anzeige in der Zeitung lesen, zur Beerdigung kommen, ihr Beileid dalassen und irgendwann selbst ein paar Gräber weiter sich zur Ruhe legen. Wenn ich mir überlege, wer alles zu meiner Beerdigung anreisen würde, wer vielleicht nicht, wer überlegen müsste, ob man sich gut genug kannte, um an diesen Ort zu fahren, wer sich an meinem Grab nach langer Zeit wiedersehen oder erst dort kennenlernen würde – gut, dass ich lebe und nicht vorhabe, mich in nächster Zeit zu verabschieden. Ich spiele die Situation noch ein paar Mal in meinem Kopf durch, zähle die Gäste, rekonstruiere Gespräche, die nie stattgefunden haben, nicht stattgefunden haben können und entscheide, dass die Situation zu absurd wäre, um zu geschehen. Ich verschiebe meine Beerdigung um mindestens so viele Jahre, bis ein paar meiner potentiellen Gäste selbst schon nicht mehr unter uns weilen, das Menschendurcheinander ginge mir einfach zu weit.
„Wer kein schönes Leben hatte, kann immer noch auf einen schönen Tod hoffen“, sagte Ian Fleming, der nicht nur James Bond erfand, sondern auch selbst spionierte, angeblich. Vielleicht sagte er es auch gar nicht, vielleicht schrieb er es auf oder dachte es laut genug, jetzt steht es jedenfalls da und klingt weniger tröstlich, als man es im ersten Augenblick meinen möchte. Die Vorstellung ist gar nicht schlecht: ein schöner Tod. Wie geht das.
Gut, dass man nach dem Sterben abwesend ist, denn Totsein ist noch viel anstrengender: wohin mit dem Leichnam, wo vergraben, wie verbrennen, worüber verstreuen, aus welcher Richtung kommt der Wind. Welcher Grabstein, welche Worte wählen zum Abschied. Eigentlich kann man froh sein, wenn man zuerst stirbt, denn wer will schon Andere begraben. Bereitet mich gut zu und esst mich, trug ich meiner Familie einmal auf, stieß allerdings auf keine große Begeisterung. Nicht mal Blumen auf einem Grab hätte man gießen müssen. Was für eine Erleichterung! Man möchte doch auch keine Arbeit hinterlassen, nein, man möchte anders in Erinnerung behalten werden, nicht als Grab, das nach einer Gießkanne verlangt.
Bevor man sich auf einen schönen Tod konzentriert, sollte man sich vielleicht erstmal um ein schönes Leben kümmern. Man hat da ja doch die ein oder andere Gestaltungsmöglichkeit. So könnte man sich zum Beispiel mit Dingen beschäftigen, die einem Spaß bereiten oder guttun. Der Tod kommt dann schon von selbst, irgendwann, schön oder unschön.
Manchmal laufen sonntags auf Drittprogrammen alte Filme mit Romy Schneider.
Heute zum Beispiel Monpti, wo anfangs noch alles ganz bunt und schön und lustig ist, zum Beispiel Romy Schneider im Regencape mit Horst Buchholz im Park (»Ich bin nur gekommen um Ihnen zu sagen, dass ich wegen des schlechten Wetters nicht kommen kann«) und die kleine Ente Napoleon, die in einer Socke schläft und eines Tages einfach davonschwimmt. Da deutet sich schon an, dass nicht immer alles so bunt und lustig bleiben kann, man sich verabschieden muss, irgendwann, und schon kommt Romy Schneider unter die Räder. Allerdings mit der Gewissheit, geliebt zu werden, von einem niedlichen Horst Buchholz – schöner Tod, unschöner? Zu früh, auf jeden Fall. Gut, dass es nur ein Film war und Romy Schneider unsterblich ist. Irgendwo sitzt sie nun und schaut sich ihre alten Filme an.
Sterben kann man auch später noch, finde ich. Meistens ist es besser, am Leben zu bleiben und noch ein paar Enttäuschungen zu erleben und Fehler zu begehen. Ian Fleming zum Beispiel wurde nicht sehr alt, ein schönes Leben mit viel Rauch und Alkohol trug wohl einiges bei, aber wer ein spannendes und schönes Leben hatte, schafft es vielleicht, einen unschönen Tod damit aufzuwiegen.